Eighteen hundred and froze to death – Zwei Bücher – Ein Vulkan

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Kurz vorweg: Ich werde im März mit Ausnahme der Messeführung am Freitag den 08.03.2024 urlaubsbedingt keine öffentlichen Führungen übernehmen.

Da auch der Beginn des Jahres äußerst arbeitsreich war, blieb wenig Zeit zu zum lesen.  Das kalte und regnerische Wetter eignet sich allerdings zu einer kurzen Vorstellung zweier Bücher: „Das Zimmer von Mary Shelley“ von Timo Feldhaus sowie „Tambora und das Jahr ohne Sommer“ von Wolfgang Behringer.

Als der Tambora im April 1815 ausbrach blieb dies in Europa, anders als beim berühmte Ausbruch des Krakatau 1883, vorerst unbemerkt. Die Folgen für den darauffolgenden „Sommer“ 1816 waren dafür umso verheerender. So verheerend, das das Jahr 1816 als „Jahr ohne Sommer“ oder als Achtzehnhundertunderfroren bzw. Eighteen hundred and froze to death in die Geschichte einging.

Behringer beschreibt in seinem Buch ausführlich die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen für Europa und die Welt. Insbesondere Südwestdeutschland und die Schweiz waren von den Hungernöten betroffen. Hier entstanden als direkte Folgen erste Initiativen einer „Katastrophenhilfe“.  In den USA zogen viele Farmer auf Grund der Hungersnöte gen Westen.  Auch in Chemnitz waren die Folgen übrigens zu spüren. Der erste Großindustrielle aus Chemnitz, Christian Gottfried Becker, ging durch seine Wohltätigkeit in die Chemnitzer Geschichte ein: Er kaufte in den Hungerjahren 1816/17 in Polen günstig Getreide und verkaufte es zu moderaten Preisen in Chemnitz. Sein Grabstein ist heute noch im Park der OdF zu sehen. Vom Beckerplatz ist allerdings nur noch ein Gebäude übrig.

wolfgang-behringer-tambora-und-das-jahr-ohne-sommerSo schrecklich die Folgen für die Bevölkerung waren, in der Kunst- und Literaturgeschichte hinter lies der Ausbrauch schöne und schaurige Spuren. Zum einen wurden die leuchtenden Himmel in den Bildern von William Turner und Caspar David Friedrich wohl von Staubpartikeln ausgelöst, welche durch den Ausbruch in der Luft waren.  (1883 beim Ausbruch des Krakatau passierte eventuell nochmal etwas ähnliches und hinterließ im „Schrei“ von Edvard Munch vielleicht seine Spuren). Zum anderem wurde eine bunte Reisegruppe bestehend aus Lord Byron, Percy Bysshe Shelley, Mary Shelly, Claire Clairmont und John Polidori gezwungen, einen Großteil ihrer Reise geschützt vor dem nicht enden wollenden Regen in der Villa Diodati am Genfer See zu verbringen. Neben allerhand Gefühlen füreinander aller Beteiligten, entstanden hier zwei Meilensteine der Weltliteratur. „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ von Mary Shelly und „Der Vampyr“ von John Polidori (lange vor dem berühmteren „Dracula“ von Bram Stoker) entstanden als Resultat eines kleinen Grusel-Story-Schreibwettbewerbs der Gruppe.

All dies und noch vieles mehr beschreibt Timo Feldhaus in seinem Buch sehr anschaulich Anhand von kleinen Episoden, welche mitunter in etwa parallel an wechselnden Schauplätzen stattfanden. Diese Form des Erzählens von Geschichte erinnert sehr an die Bücher des Kunsthistoriker Florian Illies  („1916“ „Liebe in Zeiten des Hasses“ sowie das kürzlich erschienene „Zauber der Stille“ über das Werk von Caspar David Friedrich), welchem der Autor im Nachwort auch explizit dankt. Meiner Meinung nach kann es gar nicht genug Bücher geben, in welchen Geschichte so ge- und beschrieben wird.

 

Bruno Preisendörfer – Eine Reise in die Luther/Bach/Goethe oder Bismarckzeit

Leider habe ich die letzten Wochen keine Zeit gefunden, um wenigstens kurz ein Buch vorzustellen. Zeit zum Lesen blieb dennoch und somit will ich hier nur kurz auf 4 Bücher von Bruno Preisendörfer hinweisen, welche allesamt lesenswert sind.

2015 erschien „Als Deutschland noch nicht Deutschland war – Eine Reise in die Goethezeit“.  Der Titel hält was er verspricht. Preisendörfer gibt einen kurzweiligen Einblick in Alltag und Leben der Gesellschaft zur Goethezeit. Gleiches gilt für die 2016 erschienene Reise in die Lutherzeit. 2019 folgte die Reise in die Bachzeit und 2021 die Reise in die Bismarckzeit.

 

David Haskell – Das verborgene Leben des Waldes

Haskell- Das Verborgene Leben des Waldes

Auf der Suche nach interessanten Büchern lohnt sich manchmal ein Blick in Listen von ausgezeichneten Büchern der letzten Jahre. Die Zeitschrift Bild der Wissenschaft kürt seit 1993 Wissensbücher des Jahres in verschiedenen Kategorien. In der Kategorie „Überraschung“ (Verliehen für ein Buch, welches „ein Thema am originellsten anpackt“) wurde 2016 „Das verborgene Leben des Waldes“ des Biologen David Haskell ausgezeichnet.

Für das Buch besucht Haskell ein ganzes Jahr jeden Tag einen kleines Stück Wald in der Nähe des Perimeter Trail in Sewane auf dem Gelände der University of the South in Tennessee. Für Haskell wird es ein Mandala, welches er für meditative Naturbeschreibungen nutzt.  Je nach Jahreszeit beschreibt Haskell Flechten, Moose, Tiere im Mandala und nutzt sie für ausgiebige Überlegungen über Ökologie und Beziehung zwischen Mensch und Wald.

Das Buch steckt für Nicht-Biologen voller überraschender Details und Haskells meditativer Ansatz macht aus der Natur- eine Weltbetrachtung.

Philip Matyszak – Legionär in der römischen Armee

Philip Matyszak - Legionär in der römischen Armee

Der Untertitel von Matyszaks Buch „Der ultimative Karriereführer“ hält definitiv was er verspricht! Humorvoll bekommt man als Leser Informationen darüber, wie man Legionär wird, welche Ausrüstung wie zu benutzen ist (Merke: Jede Beule in meiner Rüstung wird beim Sturz blauen Beulen an mir verursachen!) und welche Legion für mich geeignet wäre.  Auch erfolgt eine Umfassende Einführung in das Lagerleben (Unbedingt meinen Zenturio bestechen um Friedhofswache oder Latrinendienst zu vermeiden!) sowie hilfreiche Hinweise zu den Leuten die mich gerne umbringen möchten (Beispiel Pikten: Nur weil ich sie nicht sehe, heißt das nicht, das sie mich nicht sehen!). Auch die militärische Schlacht- und Rangordnung kommt nicht zu kurz (Beispiel tribunus laticlavius: Stelle dich auf ein Milchgesicht ein, was ständig den Lagerpräfekten fragen wird, was zutun ist). Für einen erfolgreichen Abschluss der Legionärslaufbahn gibt es auch noch eine kompakte Zusammenfassung, was alles auf einem schönen Grabstein, einer Stele oder einem Steinsarg stehen muss.

Eines der unterhaltsamsten Bücher über römische Geschichte die ich gelesen habe!

Peter Frankopan – Licht aus dem Osten

Dass die Geschichte der Welt sich nicht aus der alleinigen Sicht Europas korrekt beschreiben lässt, ist an sich kein neuer Gedanke. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Büchern, welche sich unter verschiedenen Schwerpunkte mit dem Einfluss des „nahen und fernen Ostens“ auf die europäische Geschichte beschäftigen.

Für  Kunst, Philosophie und Geschichte kann ich hierfür insbesondere „Florenz und Bagdad“ von Hans Belting, „Platon in Bagdad“ von John Freely, „Die Entzauberung Asiens“ von Jürgen Osterhammel (Von dem es in der FAZ auch eine professionelle Rezension über Frankopans Buch gibt) und „Unterwegs nach Xanadu“ von Elmar Schenkel empfehlen.

Peter Frankopan, britischer Byzantist und Professor in Oxford, versucht sich in diesem Buch, welches im Englischen Original den meiner Meinung passenderen Titel „The Silkroads“ trägt, an einer neuen Geschichte der Welt. Sein Blick richtet sich auf die historischen Seidenstraße, räumlich vom heutigem Iran über den Irak bis Afghanistan, Turkmenistan, Kirgistan, Usbekistan bis China. Sehr anschaulich und unterhaltsam beschreibt Frankopan wie groß der Einfluss dieser Regionen auf die Geschichte Europas war und immer noch ist.  Dabei dabei entwickelt er einen stringenten Pfad vom Drang nach Osten Alexanders des Großen bis zu den letzten Unheilvollen westlichen Interventionen im 21. Jahrhundert.  Eine komplett neue Globalgeschichte gelingt so, wie Historiker Osterhammel sicherlich korrekt bemängelt, nicht, allerdings entsteht ein schlüssige neue Geschichte Europas, ab  der ausgetretenen (britischen) Pfade von 1066, Edward III., Rosenkrieg, den Tudors, Queen Victoria oder Textilindustrie.

Insbesondere die letzten Kapitel lassen beim westlichen Leser, so finde ich, ein beklemmendes Gefühl zurück.  Das Ausmaß der westlichen Interventionen in den letzten über einhundert Jahren und die verheerenden Konsequenzen daraus, getrieben von Profitgier und nationalem Egoismus, lassen einen unruhig in die Zukunft schauen.

Messeführungen Online

!! UPDATE: 12.03.2023 !! Zusätzliche Führung zu Trabi & Friend am 18.03.2023

Leider gibt es erst jetzt nach langer Pause wieder ein Update an dieser Stelle. Da ich mich auf Grund der Corona-Zeit zum Teil beruflich neu orientieren musste, musste ich eine für eine gewisse Zeit andere Prioritäten setzen.

Nun kann ich aber zumindest die öffentlichen Termine im 1. Quartal 2023 für die Messeführungen bekannt geben!

28.01.2023 | Führung zu den Chemnitzer Modellbahntagen | 10:00 Uhr

03.02.2023 | Führung zur Baumesse Chemnitz | 16:00 Uhr

10.03.2023 | Führung zum Chemnitzer Frühling | 16:00 Uhr

18.03.2023 | Führung zu Trabi & Friends | 11:30 Uhr

Die Führungen in den Messehallen mit Blick hinter die Kulissen starteten bereits 2019 und erfreuten sich zunehmender Beliebtheit ehe sie durch die Corona-Maßnahmen leider ab März 2020 wieder eingestellt werden mussten.  Neben Informationen zur Geschichte der Gebäude und des umliegenden Areals gibt es einen Blick hinter die Kulissen sowie in die Logen mit vielen Informationen zu den aktuellen Veranstaltungen.

Bild: Chemnitz von Oben

David Graeber – David Wengrow – Änfange

Im Jahr 2020 verstarb überraschend der Kulturanthropologe David Graeber in Venedig. Ich kannte bisher nur das Buch „Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit“ von ihm, in welchem er die These vertritt, die von Ökonomen prophezeite 15-Stunden-Woche wäre längst möglich, wenn nicht ein Großteil der Menschen in sinnlosen und bisweilen gar gesellschaftlich schädlichen Berufen arbeiten würden. Eine These die ich weitestgehend teile.

In seinem letzten Buch „Anfänge – Eine neue Geschichte der Menschheit“ versucht er zusammen mit David Wengrow tatsächlich einen neuen Blick auf den Beginn der Menschheit zu werfen, jenseits der etablierten Pfade. Im Grunde halten die Autoren die Konstruktion eines „Urzustandes“ der Menschen wie bei Hobbes und Rousseau für falsch und schädlich. Durch viele archäologisch und anthropologisch zu detaillierten Beispielen machen sie deutlich, dass es sehr viele unterschiedliche spielerische Möglichkeiten der Entwicklung menschlicher Gesellschaft gibt und das die klassische (ökonomische-) Theorie des Fortschritts von der Jäger-und-Sammler-Gesellschaft über Ackerbau und Stadtentwicklung zur modernen (kapitalistischen-) Ordnung eben nur eine Theorie ist, die vor allem im Rückblick gut aussieht, mehr aber auch nicht. Angewandt auf die Gegenwart und Zukunft ist sie sogar schädlich.

Die Argumente sind mit unter nicht eindeutig zu werten. So bezeichnen  die Autoren zum Beispiel die unterschiedlichen Nilfluten als hinderlich für die Entwicklung einer schriftlichen Verwaltung bzw. Behörde, da sich jedes Jahr die Grundstücke ändern. In der Regel wird das Argument (zumindest meines Wissens) meist andersherum verwendet: Eben die häufigen wechselnden Nilfluten machten eine permanente und effektive Bürokratie notwendig.

Das Buch ist dennoch erhellend und wirft ein ein erfrischendes Licht auf manch eingefahrene Sichtweisen. Mitunter irritiert der etwas harsche und hämische Ton, vor allem bei Kritik an Kollegen, welches auch manchmal aus dem Zusammenhang zitiert werden. Hier merkt man das Graeber auch politischer Aktivist war.

Der größte Wert des Buches liegt für mich in seiner Kritik an der etablierten ökonomische Geschichte der Menschheit, sowie an den detaillierten archäologischen und anthropologischen Ausschweifungen zu unter anderen auch eher unbekannten Stätten wie Taljanky. Letzteres muss man aber auch mögen, sonst quält man sich sehr durch die 550 Seiten voller Details und Abschweifungen.

John Kenneth Galbraith – Eine kurze Geschichte der Spekulation

John Kenneth Galbraith

Im Industriemuseum Chemnitz kann man ein Zitat entdecken: „Wir werden im Denken und Handeln die Diener der Maschine, die wir entwickelt haben, um uns zu dienen“. Das Zitat stammt vom kanadisch-US-amerikanischen Ökonom, Sozialkritiker, Präsidentenberater, Romancier und Diplomaten John Kenneth Galbraith. 

Im Industriemuseum Chemnitz unterstreicht das Zitat den Einfluss des alten und neuen Maschinenzeitalters auf unseren Alltag und rundet den Themenkomplex „Mensch und Maschine“ ab. Man ahnt zusätzlich mit wieviel Weitblick und Tiefgang sich Galbraith mit Bedingungen menschlicher Gesellschaft beschäftigt hat.

Sein Buch „Eine kurze Geschichte der Spekulation“ gibt einen kurzen und launigen Überblick über die Geschichte spekulativer Geldwirtschaft. Wie nahezu alle Bücher von Galbraith kann man es mühelos mehrmals lesen ohne sich zu langweilen. Beginnend mit der Tulpenmanie, Mississippi-Blase (John Law!) und der Blase der South Sea Company (Bei welcher immerhin auch Issac Newton ca.  20.000 Pfund verlor!) bis zu den Crash der neueren Geschichte folgt man Galbraith gut unterhalten durch die Finanzgeschichte. Am Ende muss man Galbraith zustimmen, wenn er feststellt, das das Gedächtnis der Finanzmärkte nur wenige Jahrzehnte hält.

Das Buch ist ursprünglich 1992 erschienen. Die letzte Neuauflage 2006. Dennoch hat es nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Die letzte große Finanzkrise hätte sich mühelos in die Abfolge von Euphorie – Krise – Ernüchterung – Bankrott eingereiht.

Aktuell kann man wieder ein Zeit der Euphorie beobachten: Ein neues Produkt ohne jeden Wert, die NFTs in einer Blockchain, werden als Spekulationsobjekte gehandelt.  Es scheint tatsächlich so, dass das finanzielle Gedächtnis mit zunehmender Vernetzung noch schlechter wird. Oder die Menschen sind schon fast zum der Finanz-Maschine geworden, die sie einst vor hunderten Jahren geschaffen hat, um ihr zu dienen.